Zauberpilze in Mexiko: Nebelschwaden und eine interdimensionale Mantis

Ein Tripbericht aus San José del Pacifico.

Dieser Text ist eine Langfassung meiner in der Lucy’s Rausch #16 und dem Schweizer Globetrotter erschienenen Artikel der Reihe „Zauberpilze in Mexiko”.

Im November 2022 habe ich mich zu meiner ersten Reise nach Mexiko aufgemacht. Nachdem ich Freunde in dem Strandörtchen Playa del Carmen, in der Nähe von Cancún, besucht hatte, bin ich in den Bundesstaat Oaxaca gereist. Warum? Nun, erstmal gilt die gleichnamige Hauptstadt Oaxaca als eines der angenehmsten Reiseziele Mexikos – und wegen der psychoaktiven Geschichte dieser Gegend! Hier wurde die psychoaktive Wirkung der mit Psilocybin-Pilze (Zauberpilze, Magic Mushrooms) erstmals der westlichen Kultur bekannt, nachdem diese für Jahrhunderte von indigenen Völkern für rituelle Traumreisen benutzt worden sind.

Disclaimer: Der folgende Artikel ist, wie alle Inhalte auf Der Tripreport, zur Aufklärung und Gefahrenminderung gedacht und ruft niemanden zum Konsum illegaler Drogen auf. Der unsachgemäße Gebrauch von psychedelischen und psychoaktiven Substanzen kann physische und psychische Schäden verursachen.

Zauberpilze Mexiko
Eine Auswahl frischer Derrumbe-Zauberpilze. Foto: DTR

Ich befinde mich hier buchstäblich in den Wolken, denke ich mir, als die weißen Schwaden mich und die Landschaft mit Wirbeln in Zeitlupe eindecken. Eigentlich wollte ich hier von der Veranda meiner Cabaña den Sonnenuntergang hinter dem grünen Bergpanorama der Sierra von Oaxaca bewundern, während mich die Pilze langsam in Trance versetzen. Doch der klare Blick wird durch den Nachmittagsnebel verdeckt. Wie eine weiße Leinwand nimmt er mein ganzes Gesichtsfeld ein. Meine Gedanken beginnen zu kreisen. Aufregung und Angst vermischen sich. Sind es wirklich die richtigen Pilze, die ich gerade gegessen habe? Fünf stattliche Exemplare der Sorte Psilocybe caerulescens sollten es gewesen sein, die hier unter dem Sammelbegriff Derrumbe — Erdrutschpilze — feilgeboten werden. Nun, die nächsten Minuten werden zeigen, wie ihr Effekt ist.

Zauberpilze kaufen in Mexiko, bzw. „Suche nach der heiligen Medizin”

Ganz so einfach, wie immer behauptet wird, war es nicht, hier in San José del Pacifico ein paar der lokalen Zauberpilze zu kaufen. Viele Reisende haben mir von schwachen und enttäuschenden Pilzerfahrungen berichtet. Und auch im Internet wird gewarnt, dass hier im Ort wohl auch wirkungslose Fungi an neugierige Tourist:innen verkauft werden. Es stimmt zwar, dass praktisch jede:r Hostel- oder Ladenbesitzer:in hier ein paar Pilze unter der Theke liegen hat und dass der Verkauf und Gebrauch nicht strafrechtlich verfolgt wird. Aber ich bin außerhalb der Regenzeit angekommen, Ende November, wo nur sehr wenige Fruchtkörper ihre Köpfchen aus den Erdspalten herausstrecken. An der stetigen Nachfrage der Backpacker:innen, die auf dem Weg zu Strandorten wie Puerto Escondito hier haltmachen, ändert die Saison nichts.

Meine Gedanken drehen sich weiter, werden greifbarer und reflexiver. Ein gutes Zeichen dafür, dass die Wirkstoffe Psilocybin und Psilocin langsam meine Rezeptoren besetzen. „Behandle sie mit Respekt, sie sind heilige Medizin”, hat mir Olivia* gesagt, als sie mir die Pilze, eingelegt in ein großes Baumblatt, überreicht hat. Ich habe ein gutes Gefühl bei ihr. Erst nach dem Abklappern einiger Souvenirläden, in denen die Verkäufer:innen mir nicht einmal den Namen der vertrockneten Krümel nennen konnten, die sie mir andrehen wollten, bin ich durch einen Tipp auf sie gestoßen. Gut, umgerechnet sechzig Euro fand ich für die Handvoll Waldfrüchte schon happig. Aber im Grunde sind diese hier in dem kleinen Dorf die Haupteinnahmequelle der Einwohner:innen.

San Jose del Pacifico
San Jose del Pacifico. Foto: DTR

Mit ihrem runden Gesicht, dem herzlichen Lächeln und den freundlichen Augen erinnert mich Olivia an die Shipibo-Schamanin, die mich in Peru vor einigen Jahren im Kreise ihrer Familie auf eine Ayahuasca-Reise gebracht hat. Dort musste ich sehr lange suchen, bevor ich die richtigen Menschen mit der richtigen Medizin gefunden habe.

Die psychedelischen Grundregeln von Set, Setting und Dosis befolge ich so gewissenhaft es geht. Ich bin positiv gestimmt, fühle mich fit und gesund und habe ein aufgeregtes Kribbeln im Bauch. Gut, ich bin vollkommen alleine hier und kenne fast niemanden. Aber das ist kein ungewohntes oder gar beängstigendes Setting für mich. Am Morgen habe ich noch ein paar Traveler getroffen, mit denen ich in Oaxaca rumgehangen habe und die hier einen Zwischenstopp auf dem Weg zum Pazifik machen. Immerhin ein kleiner sozialer Anker — sollte etwas gründlich schiefgehen, hätte ich immerhin Leute, an die ich mich wenden könnte. Allein der Gedanke an diese potenzielle Hilfe gibt mir ein beruhigendes Gefühl für meinen Solotrip.

Bei der richtigen Dosis der Zauberpilze vertraute ich auf mein Zauberpilz-Wissen, der Empfehlung der Person, die sie mir verkauft hat, und der Digitalwaage, auf die meine Portion gelegt wurde. Olivia hat mir mehrere Portionsgrößen angeboten, und ich habe eine mittlere Größe gewählt. Etwa 9-10 Gramm Feuchtgewicht, getrocknet wären das 9,0-1 Gramm – eine recht bescheidene Dosis eigentlich. Aber Pilze können in ihrer Wirkung stark schwanken, und da ich doch ein wenig Respekt vor wilden mexikanischen Erdrutschpilzen habe und mit dieser Sorte noch Null Erfahrung habe, bleibe ich vorsichtig. Und: Ja – diese Dosis war mehr als ausreichend für mich.

Aber mit der Intention, also der Frage „Warum machst Du das?”, habe ich meine Schwierigkeiten. Das Gleiche kann ich allerdings auch für meine langen Soloreisen sagen. Sie haben mir mehr unvergessliche Erfahrungen bereitet als die Jahrzehnte davor daheim. Das war vor der pandemischen Reisepause. Jetzt habe ich eine Mietwohnung, eine feste Beziehung und bin fast doppelt so alt wie die meisten anderen Backpacker hier. Und mache trotzdem weiter. Mir kommt es vor, dass ich durch den Zauberpilztrip genauso ziellos gehe, wie durch die Welt. Und ich komme doch immer irgendwo an. Aber wie lange noch? Ich hoffe, meine Neugierde, mein Entdeckungsdrang belohnen mich noch eine ganze Weile mit Abenteuern.

San Jose del Pacifico
San Jose del Pacifico. Foto: DTR

Individualtourismus in den Tod! 🙂

Während ich über das Altern grüble, hallt die Stimme einer alten Frau in meinem Kopf: „Du wirst sterben! Oh, ja, daran führt kein Weg vorbei! Sterben wirst Du!”, keift sie lachend immer und immer wieder in einer mantraartigen Gedankenschleife. Ach ja. Das ist es, was Pilze machen. Sie locken Dich mit Versprechungen von magischen Visionen, nur um Dich eindringlich daran zu erinnern, wie unausweichlich das Ende deiner Existenz in dieser Realität ist.

Auf höheren Dosen kann dies zur vollständigen Auflösung des Egos führen – was das für mich bedeutet, schreibe ich hier im Tripreport demnächst mal auf. Nur kurz: Ich finde es absolut heilsam, sich von Zeit zu Zeit mit dem eigenen Tod zu beschäftigen und sich die eigene Sterblichkeit vor Augen zu führen. Mit Psilocybin verhält es sich in dieser Hinsicht etwa so, als würde man in eine Achterbahn steigen, die im Themenpark „Dein Tod” steht. Wenn der Bügel einmal unten ist, sollte man nicht mehr versuchen auszusteigen, sondern sich darauf einlassen – irgendwann endet die Fahrt und man kann draußen die Sonne genießen.

So langsam beginnt also der anstrengende Teil des Trips. Ich bewege mich behutsam von dem Verandastuhl in mein Zimmer und ins Bett. Der Geruch von weißem Copalharz, das ich zu Beginn meines selbstgestalteten Pilzrituals hier verräuchert habe, schwebt beruhigend in dem holzvertäfelten Raum. Hier habe ich dank Panoramafenster immer noch die gleiche Aussicht, nur eben mit wärmender Decke. Dieser Ort ist wie gemacht für einen Trip, denke ich mir und muss lachen, denn genau das ist er ja! Ein in die Hügel gepflanzter Garten mit kleinen Hütten, extra für den bewusstseinserweiternden Tourismus.

Die Top-Sehenswürdigkeiten in Mexiko auf Zauberpilzen

Ich schließe die Augen. Neonfarbene Pilzstrukturen wachsen hinter meinen Augenlidern und vergehen wieder. Totenköpfe grinsen mich in allen Spektralfarben an und verwandeln sich in tanzende Monster. Der aztekische Federschlangengott Quetzalcoatl schaut vorbei. Persönliche Dämonen bäumen sich auf und werden von den Pilzen zersetzt. Meine Eindrücke aus diesem Land verschmelzen unter dem Psilocybineinfluss mit Bildern aus den Tiefen meines, unseres Unbewusstseins.

Mexiko. Ein großer Traum, den ich mir hier erfülle. Feuriges Essen, präkolumbische Artefakte, Tequila und haushohe Kakteen. Seit drei Wochen bin ich schon unterwegs. In Playa del Carmen, unweit von der Gringometropole Cancún, habe ich zwei Kumpels in ihrem Urlaub besucht. Nach diesem touristischen Einstieg habe ich mich abgesetzt und bin alleine weitergezogen. Oaxaca, die Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates im Südwesten des Landes, hat mich begeistert. Die Häuser der Innenstadt strahlen in grellem Gelb, knallendem Orange, und leuchtendem Pink, über den Straßen flirren festliche Flatterbändchen und an buchstäblich jeder Ecke kann man fantastische Street Art bewundern. Auf den Märkten habe ich mich an pikanten Tlayudas satt gegessen, in der Umgebung habe ich Überreste untergegangener Hochkulturen bestaunt und nachts habe ich trotz meiner deutschen Steifheit und mithilfe des lokalen Mezcals sogar etwas tanzen können. Gleichzeitig wird mir in den vernachlässigten Randbezirken abseits der blühenden Stadtzentren das Leid der Menschen hier vor Augen geführt: ein Kreislauf aus Armut, Korruption und schlimmster Gewalt.

Etwas Cannabis in Mexiko zum Runterkommen?

Kurzer Hinweis an alle Touris, die wissen wollen, wie kommt man in Mexiko an Cannabis? Große Vorsicht ist geboten, Weed ist in Mexiko zwar entkriminalisiert und in kleinen Mengen legal – das heißt aber nicht, dass man nicht trotzdem Ärger mit korrupten Polizisten oder Gangstern bekommen kann, wenn man naiv damit umgeht. Und: In der Fremde, unter ungewohnten Bedingungen, in der Hitze, alleine oder mit unbekannten Menschen zusammen, kann der Paranoia-Effekt des Grases in ungeahnte Höhen schellen.

Nach etwa zweieinhalb Stunden kumulieren die anstrengenden Visionen in einer Spitze hoffnungsfroher Glückseligkeit. Um den Trip noch etwas zu verlängern, gehe ich vor die Tür und zünde mir einen kleinen Joint an. Pur, gedreht aus einem braunen Stück Papiertüte. Seit ich mich letztes Jahr vom Tabak verabschiedet habe, habe ich die passenden Utensilien leider nicht mehr so parat.

Das Cannabis wirkt auf meine Psyche wie ein Blasebalg, der aus glimmenden Kohlen nochmal ein ordentliches Feuer entfacht. Ich setze mich wieder ins Bett und diesmal gesellt sich zu dem erweiterten Headspace auch noch ein Funken Paranoia. Die Angst kommt vorbei und sagt ‚Hallo, ich bin auch noch da. Was machst du denn hier ganz alleine irgendwo auf einem mexikanischen Berg in einem Zimmer mit papierdünner Tür in dunkelster Nacht?’.

Ich lenke mich ab, indem ich mir die Holzmaserungen an der Zimmerwand anschaue. Irgendwo hier hatte ich vorhin noch einen Gecko gesehen, der müsste sich hier immer noch mit mir im Zimmer befinden. Meine Augen fallen auf ein besonderes Muster in der Tür, das mich an etwas erinnert. Es nimmt immer weiter Gestalt an, so dass ich mich kurz darauf telepathisch mit einer interdimensionalen Gottesanbeterin unterhalten kann.

Irgendwann denke ich mir, okay, mein Kopf hat genug Zauberpilze für heute verarbeitet, so langsam sollte ich mein Fasten unterbrechen und wieder in die Realität zurückkehren. Ich packte meine Vorräte aus, unter anderem wohlweislich im Voraus besorgte Quesadillas, Kranky Schokoladendrops und Cracker. Dazu schalte ich den in der oberen Ecke des Fensters verstaubten Miniatur-Röhrenfernseher an, der mich mit ungefilterten Nachrichten über die neuesten Gewaltexesse des mexikanischen Drogenkriegs bestrahlt. Zuviel Realität. Ich schalte um und finde Celine Dion, die vor einem kreischenden Publikum mittelalter Frauen auf einer Geburtstagstorte tanzt und „It’s a Man’s World” singt. Ein lange überfälliger Lachanfall überkommt mich. Irgendwann schalte ich alles aus, lege mich hin und verfalle in einen tiefen traumlosen Schlaf. Am Morgen packe ich meine Sachen und ziehe weiter. Als ich auf den Bus warte, gesellt sich ein Straßenhund zu mir und lässt sich kraulen. In warmer Zufriedenheit genieße ich die Sonne und meine Reise.

Hund
Foto: DTR

Welche Erfahrungen habt ihr in Mexiko mit Zauberpilzen gemacht?

Der Alte vom Berg: Albert Hofmanns Mexiko-Reisen

Zum 80. Bicycle Day wollte ich nicht nochmal Albert Hofmanns schicksalshafte Fahrradfahrt im Detail erzählen, sondern eine, wie ich finde, viel interessantere, aber unbekanntere Geschichte aus seinem Leben. So ist Hofmann gemeinsam mit seiner Frau und dem Pilzpionier Gordon Wasson eines Tages auf die Reise in die Berge Mexikos aufgebrochen und hat der mazatekischen Schamanin María Sabina ein psychedelisches Geschenk gemacht…

High Times: Wie möchten Sie, dass sich die zukünftigen Generationen an Sie und Ihre Entdeckung erinnern?

Hofmann: Vielleicht wandelt sich das Bild vom Chemiker, der beim allerersten LSD-Trip auf dem Fahrrad fährt, zum Alten vom Berg…

In diesen Tagen hat sich zum 80. Mal der legendäre Fahrrad-Trip von Albert Hofmann gejährt. Dieser Anfangssprint der LSD-Historie ist eine großartige Geschichte, die an diesem Jubiläum immer wieder gerne erzählt wird:

Der junge Chemiker mit einer Vorliebe für pflanzliche Heilmittel nahm zunächst im Sandoz-Labor durch ungeklärte Ursachen eine winzige Menge seines 25. isolierten Alkaloides aus dem Mutterkornpilz auf. Die dadurch ausgelösten leichten Wahrnehmungsveränderungen weckten seine Neugier auf dieses sogenannte Lysergsäurediethylamid.

Am 19.04.1943 unternahm er dann einen Selbstversuch und schluckte 250 Mikrogramm LSD, um dann auf seinem Fahrrad auf dem Weg nach Hause feststellen zu müssen, dass sich seine ganze Realität veränderte. Er verfiel in einen „rauschartigen Verwirrtheitszustand”, der ihn zunächst glauben ließ, von einem Dämon besessen zu sein. Nach mehreren Stunden begann er dann, „das unerhörte Farben- und Formenspiel zu genießen”.

Die Faszination für das neu entdeckte Psychedelikum war entfacht. Die tiefgehenden psychischen Effekte von LSD führten erst zu hoffnungsfrohen wissenschaftlichen Experimenten, wurden zum Brandbeschleuniger der 1960er Gegenkultur, dann zur illegalen Untergrunddroge und heute, acht Dekaden später, zum immer noch verbotenen Trägerstoff der sogenannten psychedelischen Renaissance.

Der Mann auf dem Fahrrad ist zum Symbol geworden, das für den schicksalshaften Glücksmoment steht, mit dem LSD entdeckt und verbreitet worden ist, sowie für die erlebte geistige Freiheit, die ein Trip auslösen kann.

LSD-Erfinder Albert Hofmann auf seinem Fahrrad in Basel (Midjourney)

Die legendäre Fahrradfahrt war aber nur das erste Kapitel für den psychedelischen Forscher Albert Hofmann, der über hundert Jahre alt werden sollte.

Was weniger bekannt ist, ist, dass Hofmann nicht nur für die Entdeckung von LSD verantwortlich ist, sondern auch für die chemischen Wirkstoffe, die sich in den sogenannten magic mushrooms, also Zauberpilzen, befinden: Psilocybin und Psilocin. Diese in ihrer Wirkung nicht minder spektakulären Substanzen haben Hofmann nicht nur zum Experimentieren in seinem Labor eingeladen, sondern ihn auch auf die Reise in ihre mexikanische Heimat genommen — zuerst auf visionäre Weise, und dann auch physisch.

Wie die mexikanischen Pilze Albert Hofmann entführten

Hofmann wurde eines Tages beim Studieren seiner Basler Tageszeitung auf eine Notiz aufmerksam: US-ForscherInnen hatten im Süden Mexikos an indigenen Zeremonien teilgenommen und ganz besondere Pilze entdeckt. Diese heiligen Fungi werden bei religiösen Zeremonien gegessen und erzeugen einen von Halluzinationen begleiteten Rauschzustand.

Bei den ForscherInnen handelte es sich um den J.P.-Morgan-Banker R. Gordon Wasson und seine russischstämmige Frau Valentina Pavlovna Wasson. Die beiden waren bei ihren hobbymykologischen Erkundungen auf die Spur des Mazatekenvolkes gekommen, hatten mehrere Expeditionen nach Mexiko gemacht und waren wahrscheinlich die ersten Weißen der neueren Geschichte, die an dem rituellen Zauberpilzkonsum teilnehmen durften.

Gordon Wasson machte seine Entdeckung 1957 in einem Artikel in dem Boulevardmagazin LIFE bekannt, woraufhin, ähnlich wie nach der LSD-Entdeckung, großes Interesse in wissenschaftlichen und therapeutischen Kreisen entstand, das sich schnell auf die breite Öffentlichkeit ausweitete.

Albert Hofmann brauchte sich gar nicht selber auf die Suche nach den Pilzen zu machen, sie kamen von ganz alleine zu ihm: Wasson hatte einige der Fruchtkörper aus Mexiko mitgenommen und diese zur Identifikation an Professor Roger Heim geschickt, einem Mykologen und Direktor des Pariser Naturkundemuseums. Heim war es gelungen, die mexikanischen Zauberpilze zu kultivieren. Allerdings konnte er nicht herausfinden, welche Moleküle darin für die halluzinogenen Wirkungen verantwortlich waren. Auch WissenschaftlerInnen aus den USA waren erfolglos. Da die Erfahrungsberichte von den Pilzen sehr denen von LSD ähnelten, meinte Heim, bei dessen „Vater”, Hofmann, an der richtigen Adresse zu sein. Das sollte sich als Volltreffer herausstellen, denn Hofmanns chemisches Fachwissen, gepaart mit seinen psychonautischen Erfahrungen, war genau die Kombination, die es brauchte, um die Wirkstoffe aus den Fungi heraus zu kitzeln.

Hofmann und seine MitarbeiterInnen erhielten 1958 also 200-300 Gramm der Pilze aus Frankreich. Tierversuche erwiesen sich als nicht hilfreich, also begannen sie mit Selbstversuchen. Hofmann probierte es mit 2,4 Gramm getrockneten Pilzen — was, wie man heute abschätzen kann, eine tüchtige Menge ist.

„Es war sehr merkwürdig. Ich nahm es im Labor ein und musste dann nach Hause gehen, weil ich wieder eine ziemlich hohe Dosis genommen hatte. Zuhause sahen Zimmer und Umgebung dann mexikanisch aus — obwohl ich nie in Mexiko gewesen bin. Ich dachte, dass ich mir das alles eingebildet haben muss, weil ich wusste, dass die Pilze aus Mexiko kamen. Ich hatte zum Beispiel einen Kollegen, einen Arzt, der mich bei diesem Experiment betreut hat. Als er meinen Blutdruck überprüfte, sah ich ihn als Azteken. Er hatte ein deutsches Gesicht, aber für mich wurde er ein aztekischer Priester und ich hatte das Gefühl, er würde meine Brust öffnen und mein Herz herausnehmen. Es war wirklich ein absolut mexikanisches Erlebnis!”

Albert Hofmann in seinem Bett auf LSD (Midjourney)
KI generierte Kunst

Später, nach seiner physischen Mexiko-Reise, auf der seine Frau ein ähnliches Phänomen beobachtet hatte, spekulierte Hofmann, dass die mittelamerikanische, indigene Kultur stark von ebensolchen Pilz-Visionen beeinflusst worden sein muss.

In weiteren Selbstexperimenten isolierten Hofmann und sein Team von ChemikerInnen dann einzelne Moleküle, probierten sie aus und kamen so auf die Spur von zwei psychedelischen Wirkstoffen. Hofmann gelang es, sie zu isolieren und kurz darauf auch zu synthetisieren, also künstlich nachzubilden. Er benannte die Moleküle nach der botanischen Bezeichnung für die „kahlköpfigen” Psilocybe-Pilze: Psilocybin und Psilocin.

Das breite Spektrum mesoamerikanischer Naturmedizin

Atzteken, Mazateken und andere präkolumbianische Völker nahmen die Zauberpilze, die sie Teonanácatl — Fleisch der Götter — nannten, bereits seit Jahrhunderten in schamanistischen Ritualen zu sich, wie Hofmann lernte. Neben den heiligen Pilzen interessierte er sich auch für andere „neu entdeckte” psychoaktive Pflanzen mit langer Tradition:

  • Die »Zauberwinde« Ololiuqui. Diese geheimnisvolle Pflanzenmedizin entpuppte sich als Samen der Windengewächse (Convolvulaceae, Turbina corymbosa, Morning Glory Samen). Diese enthalten die mit dem LSD verwandten Wirkstoffe LSA (Lysergsäureamid) und LSH (Lysergsäurehydroxyethylamid). Dass es mit Ololiuqui einen so nahen natürlichen Pflanzenverwandten zum aus dem Ergot-Pilz gewonnenen LSD gab, erstaunte Hofmann.
  • Ska Maria Pastora (Hojas de la Pastora, Blätter der Hirtin Maria) heute bekannt unter dem Namen Azteken-Salbei (Salvia divinorum).
  • Der meskalinhaltige Kaktus Peyote. Meskalin und dessen psychoaktive Wirkung war der Forschung bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bekannt.

Er lernte aus Chroniken, frühen Expeditionsberichten, und anthropologischen Büchern, dass diese Pflanzen eine lange, im postkolonialen Westen bis dato vollkommen unbekannte Tradition hatten, was unter anderem daran lag, dass die christlichen Konquistadoren diese Bräuche als Teufelswerk angesehen und ihre Durchführung unter Todesstrafe verboten hatten.

Die Reise zu Teonanácatl

1962 verließ Albert Hofmann gemeinsam mit seiner Frau Anita Guanella das beschauliche Basel und begleitete Gordon Wasson auf dessen Einladung hin auf eine Expedition in die wilden Berge von Oaxaca. Ein wissenschaftliches Hauptziel war die botanische Identifizierung des Azteken-Salbeis. Aber er sollte dort nicht nur Wissen sammeln, sondern hatte auch die synthetischen Ergebnisse der gemeinsamen Forschungserkenntnisse im Gepäck: Psilocybin in Pillenform.

In seinem Buch „LSD – Mein Sorgenkind” beschreibt Hofmann ihre Reise nach Mexiko. Von Mexiko-Stadt ging es über Puebla mit dem Landrover in den Staat Oaxaca. In der Hochebene der Sierra Mazateca erkundeten sie mehrere kleine, an Berghängen gelegenen Dörfer: Jalapa de Diaz, Ayautla, San Miguel-Huautla, Rio Santiago, San Jose Tenango und Huautla de Jiménez.

Damals, noch bevor der Hippie-Pilztourismus dort Fuß fasste, war es wahrlich eine Reise in das Herz indigener Kulturen. Die Menschen dort sprachen kein Spanisch, sondern mazatekisch (es wird bis heute dort gesprochen). Auch waren die Menschen Anfang der 1960er dort kaum technologisiert und nicht an Fremde gewöhnt. Die Expedition hatte Amtsdokumente dabei, die dazu dienten, das Misstrauen der Menschen vor Ort zu besänftigen.

Hofmann schwärmte von „der Schönheit der Landschaft und der tropischen Vegetation, […] Urwald mit riesigen, von Schlingpflanzen umwachsenen Bäumen, dann wieder Lichtungen mit Bananenhainen oder Kaffeepflanzungen zwischen lockeren Baumbeständen, Blumen am Wegrand, über denen sich wundervolle Schmetterlinge tummelten.” Er berichtet von den einfachen Mazatekenhütten mit Strohgiebeldächern und Holzpfahlwänden, und von alten Kolonialkirchen, „die deshalb besonders sehenswert und kulturhistorisch interessant [sind], weil die indianischen Handwerker und Künstler, die beim Bau mithalfen, indianische Stilelemente einschmuggelten.”

Große Teile des Weges legten die ForscherInnen per Maultierritt auf engen Gebirgspfaden zurück. Sie schliefen auf Bastmatten und probierten lokale Köstlichkeiten, von denen in der Schweizer Heimat sicher nur die wenigsten gehört hatten: Tortillas und Tequila.

Christlich-indigener Mischglaube

Das Haus der Pilzschamanin María Sabina in Huautla de Jimenez. Foto: Roman Maas
Ein Altar im Haus der Pilzschamanin María Sabina in Huautla de Jimenez. Foto: Roman Maas

Das Interesse der Forschungsgruppe an den Pflanzen- und Pilzritualen stieß auf große Skepsis, die bei den Mazateken, immerhin waren diese ein heiliges Sakrament, das vor den weißen Eroberern geheimgehalten werden musste. Nur viel Einfühlungsvermögen und Taktgefühl konnten die Menschen dort überzeugen, dass sie keine schlechten Absichten hatten. Gordon Wasson durfte bei seiner ersten Reise 1953 zwar eine Pilzzeremonie bezeugen, aber erst bei seiner Rückkehr zwei Jahre später selber die Teonanácatl einnehmen.

Auch auf dieser Reise konnte die Forschergruppe die EinwohnerInnen überzeugen, sie an ihrem schamanischen Wissen teilhaben zu lassen. Gegen Geld konnten sie genug Pflanzen und Extrakte für die Auswertung in Basel sammeln. In der Nähe von San José Tenango konnten sie dann unter klandestinen Umständen einer heiligen Pflanzenzeremonie beiwohnen: Die Curandera Consuela Garcia hatte sich bereit erklärt, ihnen die Hojas de la Pastora zu verabreichen. Dafür wurden sie nachts heimlich in ihre Hütte geführt, damit niemand der DorfberwohnerInnen etwas davon mitbekam.

Hofmann selber musste bei der Salvia-Zeremonie aussetzen, da er an einer Magenverstimmung litt. Dafür sprang seine Frau Anita tapfer ein, kaute sechs der Blätter und bezeugte ihrem Mann die halluzinogene Wirkung, wenn auch schwächer und „weniger tief” als bei den Pilzen.

Die von Hofmann noch als „Indianer” bezeichneten Mazateken waren den weißen neugierigen Besuchern gegenüber zwar misstrauisch, aber die christliche Religion hat sich selbst hier in den tiefsten mexikanischen Tälern festgesetzt. Die Mazateken berufen sich in ihren Zeremonien sowohl auf Jesus und Maria, als auch auf animistische Naturgeister. Das gilt auch für die berühmteste Curandera Mexikos: María Sabina. Sie war es, die Gordon Wasson mit den Psilocybin-Pilzen vertraut und ihre „heiligen Kinder”, wie sie die Fungi nannte, dadurch der ganzen Welt bekannt gemacht hatte.

Der Vater des LSD trifft die Hüterin der Pilze

Dass dies kaum positive Auswirkungen auf ihr Leben hatte, konnte Hofmann bezeugen, als die Gruppe ihr letztes Ziel der Expedition erreichte: Huautla de Jiménez. Die Hütte, in der María Sabina Wasson bei dessen letztem Besuch an ihrer Zeremonie hatte teilhaben lassen, war abgebrannt worden, wahrscheinlich von aufgebrachten DorfbewohnerInnen, die sie für ihren Geheimnisverrat bestrafen wollten. Sabina, die ihr ganzes Leben eine Außenseiterin am Rande der Dorfgemeinschaft gewesen war, war noch weiter ausgestoßen geworden.

Trotz allem hieß sie Wasson und Co. nun ein weiteres Mal willkommen. Hofmann beschrieb der Curandera ein „gescheites, im Ausdruck ungewöhnlich wandelbares Gesicht”. Dieses wandelte sich in Überraschung, als der Chemiker ihr per Dolmetscherin eröffnete, er hätte „den Geist der Pilze in Pillen gebannt”.

Klar, dass diese neuartigen Pillen erst mal auf ihre Wirkung hin getestet werden mussten. Ihre Veladas, wie Sabinas Pilzzeremonien genannt werden, sind immer auch Familienangelegenheiten, und so kamen am Abend unter anderem auch ihre Töchter und weitere Verwandte hinzu.

Wahrscheinlich war es seit María Sabinas Jugend das erste Mal, dass nicht sie die heilige Medizin ausgab. Hofmann gab ihr und ihren Töchtern vier Pillen á 5 mg Psilocybin — in Paaren, so wie auch die Pilze traditionell ausgegeben werden. Hofmann selber nahm an diesem Abend kein Psilocybin, sondern nur die Hojas de la Pastora, um die verpasste Salbei-Gelegenheit nachzuholen.

Zauberpilze, frisch gekaut und verzehrt, können ihre Wirkung bereits nach 15-20 Minuten entfalten, da sie direkt über die Mundschleimhäute in den Kreislauf gelangen. Bei den Psilocybin-Tabletten, die erst verdaut werden müssen, kann dies länger dauern. So war die alte Curandera zunächst enttäuscht über die ausbleibende Wirkung, aber nachdem alle zwei weitere Pillen erhalten hatten, ging die schamanische Reise auch bei ihr los.

Bei Tagesanbruch dann bekam Albert Hofmann die Bestätigung von der höchstmöglichen Stelle: Mit seiner künstlichen Medizin war es ihm tatsächlich gelungen, den Geist der Pilze hervorzubringen „ohne Unterschied zur Naturmedizin”, wie María Sabina ihm bescheinigte. Hofmann schenkte ihr daraufhin eine ganze Flasche mit Psilocybin-Pillen. So konnte sie auch in pilzarmen Jahreszeiten ihre Veladas durchführen.

Maria Sabina in ihrer Hütte (Midjourney)
María Sabina in ihrer Hütte (KI generierte Kunst)

Hofmann konnte zurecht stolz auf seine Leistung sein und würdigte auch die Offenheit der Schamanin:

„Wie ist das Verhalten der Curandera Maria Sabina zu beurteilen, die dem Fremden, dem weißen Mann, Zutritt zur geheimen Zeremonie gewährte und ihn den heiligen Pilz kosten ließ? Verdienstvoll ist es, dass sie damit die Tür für die Erforschung des mexikanischen Pilzkultes in seiner heutigen Form und für die wissenschaftliche, botanische und chemische Untersuchung der heiligen Pilze geöffnet hat. Daraus ist ein wertvoller Wirkstoff, das Psilocybin, hervorgegangen. Ohne diese Hilfe wären vielleicht — oder gar wahrscheinlich — das uralte Wissen und die Erfahrungen, die in diesen geheimen Praktiken verborgen waren, in der vordringenden westlichen Zivilisation spurlos verschwunden, ohne Früchte getragen zu haben.”

Gleichzeitig räumt er Jahre später auch ein, dass durch diese Umstände auch Unheil über das vom Fremdenverkehr bis dato unberührte Dorf gekommen war:

„Die Publikationen über die Zauberpilze zogen eine Invasion von Hippies und Drogensüchtigen ins Mazatekenland nach sich, von denen sich viele schlecht, manche gar kriminell aufführten. Eine weitere unerfreuliche Folge war die Entstehung eines richtiggehenden Tourismus nach Huautla de Jimenez, durch den die Ursprünglichkeit des Ortes weitgehend zerstört wurde.”

María Sabinas Sorgenkinder

Es ist traurig, dass die Publikation des magischen Geheimwissens mit so viel persönlichem Leid und der Zerstörung indigener Kultur einherging. R. Gordon Wasson war daran mitschuldig. Er hatte zunächst versprochen, den Ort und die Identität von María Sabina geheim zu halten, sein Wort daheim aber gebrochen. Die Pilze und das Psilocybin hätten ihren Weg in die Öffentlichkeit mit Sicherheit auch gefunden, ohne dass die genauen Details ihrer „Herkunft” publik gemacht geworden wären.

Albert Hofmann hingegen ist kein solcher Vorwurf zu machen. Die Gelegenheit, in die damals noch größtenteils unbekannten und wilden Berge Mexikos zu reisen, um das Geheimnis der Zauberpflanzen am eigenen Leib zu erfahren, war eine beachtenswerte und mutige Leistung. Dazu hat er nicht nur neue Erkenntnisse gesammelt, sondern die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Arbeit in Form von westlicher Medizin vor Ort weitergeben können. Wie viele Forscher konnten ihre Entdeckung mit den indigenen Gemeinschaften teilen, aus denen die ursprünglichen Erkenntnisse stammten?

In Hofmanns Mexiko-Erfahrungen zeigt sich auch, wie viele Forschungszweige sich beim Studium der Psychedelika ineinander verweben: Chemie, Pharmakologie, Ethnobotanik, Geschichte, Kulturwissenschaft, Religionswissenschaft, Anthropologie und Psychonautik.

Die Entdeckung des LSDs war nur der Anfang. Albert Hofmann sollte in der Tat nicht bloß als schicksalhafter Fahrradfahrer erinnert werden, sondern auch als alter Weiser vom Berg.

Albert Hofmann, der alte Mann vom Berg. Quelle: Midjourney/DTR
Midjourney

Quellen

Hofmann, Albert: Die Erforschung der mexikanischen Zauberpilze und das Problem ihrer Wirkstoffe. In Baseler Stadtbuch 1964.

Hofmann, Albert: LSD – Mein Sorgenkind. Die Entdeckung einer „Wunderdroge“ (Affiliate Link)

Stanislav Grof interviews Dr. Albert Hofmann Esalen Institute, Big Sur, California, 1984

High Times Greats: Interview With Albert Hofmann

Psychedelische Neuroplastizität: Auf das Innere kommt es an.

Ein Blick in die Studie der UC Davis, die untersucht, wie Psychedelika auf molekularer Ebene dafür sorgen, dass neue Synapsen im Gehirn wachsen.

In den letzten Wochen ist eine Studie durch die psychedelische Nachrichtenwelt gewandert, deren Verlautbarungen Titel trugen wie: „Neuer Mechanismus psychedelischer Wirkung im Gehirn entdeckt!” oder „So helfen psychedelische Drogen gegen Depressionen”. Klingt so, als hätte man einen neuen Schalter im Kopf gefunden, der einen mit Happy-Happy-Visionen beglückt. Ist aber leider nicht ganz so.

Ich habe mir die Studie einmal angeschaut und — mit Hilfe von Andrew Gallimores superausführlicher Erklärung (Alle Quellen wie immer s.u.) – ergründet, worum es bei dieser intrazellulären Angelegenheit geht und das Ganze in den Zusammenhang von Serotonin, Neuroplastizität und Psychedelika eingeordnet.

Die Erkenntnisse daraus geben uns ein besseres Verständnis davon, wie im Gehirn mehr Verbindungen entstehen und könnten den Weg zu potenziellen Medikamenten öffnen, die ähnlich wie Psychedelika, aber gezielter, Depressionen und andere geistige Erkrankungen behandeln könnten. Und das möglicherweise, ohne einen halluzinogenen Trip hervorzurufen.

Ein paar Grundlagen

Psychedelika können unter kontrollierten Bedingungen Depressionen lindern. Wie genau dies geschieht, ist derzeit Gegenstand zahlreicher Forschungsbemühungen in der Neurowissenschaft. Sicher ist, dass die klassischen psychedelischen Wirkstoffe, wie LSD, Psilocybin und DMT chemisch sehr dem körpereigenen Botenstoff Serotonin ähneln und an entsprechende Rezeptoren im Gehirn andocken. Die prominentesten darunter sind die 5-HT2A-Rezeptoren (Der chemische Name von Serotonin lautet Hydroxytryptamin, kurz 5-HT).

Noch ist unklar, wie genau die depressionslindernden Effekte zustande kommen. Einerseits berichten Menschen, die Psychedelika eingenommen haben, von einschneidenden Erfahrungen, mit profunden Erkenntnissen über die eigene Psyche und visionären Zuständen, die sie von depressiven Stimmungen geheilt hätten. Andererseits lassen sich Mechanismen beobachten, die sich rein auf der neurobiologischen Ebene abspielen, ohne dabei notwendigerweise von psychoaktiven Effekten begleitet werden zu müssen.

Serotonin und Neuroplastizität

Serotonin wird in den Medien gerne als „Glückshormon” bezeichnet. Das kommt daher, dass dieser Botenstoff unter anderem für die Regulierung von Gefühlen wie Ausgeglichenheit und Zufriedenheit verantwortlich sein soll. Das ist natürlich eine sehr vereinfachte Darstellung dieses Tryptamins, das in Form von vielen unterschiedlichen Subtypen mannigfaltige Funktionen im Körper hat.

Derzeitige medikamentöse Behandlungen von Depressionen basieren auf der „Serotonin-Hypothese”. Diese besagt, dass Depressionen auf einen zu niedrigen Serotonin-Spiegel zurückzuführen sind. Deshalb werden oft Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI) gegen Depressionen eingesetzt. Diese wirken, indem sie die Schleusen zu den Nervenzellen dicht machen und so die Serotoninkonzentration im synaptischen Spalt — also außerhalb der Neuronen — erhöhen. SSRI-Antidepressiva sollen also den Spiegel des „Glückshormons” in den Synapsen aufrechterhalten und PatientInnen so auf einem geistigen Pegel der Nichtdepression halten. Ob dies auch so funktioniert, wird aber immer mehr angezweifelt und kontrovers diskutiert, wie kürzlich auch die Zeit berichtete.

Serotonin ist aber auch beteiligt an der Regulierung von Neuroplastizität.

Neuroplastizität, oder synaptische Plastizität, ist die Fähigkeit der Nervenzellen neue Verbindungen untereinander einzugehen. Das Gehirn kann dadurch besser auf neue Einflüsse reagieren und sich anpassen. So werden z.B. beim Erlernen einer Sprache neue Pfade und Verknüpfungen von Nervenzellen erstellt, was neue Gedankengänge ermöglicht, die vor dem Lernprozess nicht da waren. Auch neue Lebenserfahrungen, die sich von alten Mustern unterscheiden, erhöhen die Neuroplastizität.

Ein etwas neuerer Ansatz der Depressionsbekämpfung besagt nun, dass eine geringe Neuroplastizität zu depressiven Verstimmungen führt. Würden die Nerven wieder „formbarer” gemacht werden und neue Pfade im Gehirn entstehen, könnte die Depression dadurch verschwinden.

Genau hier scheint ein Schlüssel zu liegen, warum Psychedelika so gut und auch dauerhaft gegen Depressionen helfen können. Denn Psychedelika erhöhen erwiesenermaßen die Neuroplastizität.

Worum geht es in der Studie „Psychedelics promote neuroplasticity through the activation of intracellular 5-HT2A receptors” (Psychedelika fördern die Neuroplastizität durch die Aktivierung von intrazellulären 5-HT2A-Rezeptoren) von Maxemiliano V. Vargas et al.?

Die Neurowissenschaftler haben sich für den Mechanismus interessiert, der dafür sorgt, dass psychedelische serotonin-ähnliche Moleküle, wie DMT, Psilocybin und LSD die Nervenzellen so anregen, dass sie mehr Verbindungen eingehen, also Neuroplastizität fördern. Dabei haben sie herausgefunden, dass nur die intrazellulären, also innerhalb der Nervenzelle befindlichen, 5-HT2A-Rezeptoren dafür verantwortlich sind. Die Rezeptoren außen an der Zellhülle spielen dabei keine Rolle.

Demnach können Moleküle nur Neuroplastizität hervorrufen, wenn sie auch in das Zellinnere und die Rezeptoren darin vordringen können. Serotonin alleine schafft das nicht, das Psychedelikum DMT, was in den Versuchen eingesetzt wurde, hingegen schon.

Wie sind die WissenschaftlerInnen vorgegangen?

In einer Reihe von Laborversuchen wurde das Zusammenspiel von Serotonin, DMT und 5-HT2A-Rezeptoren außen und innen untersucht und beobachtet, wann und wann keine Neuroplastizität hervorgerufen wurde.

Es gab eine Reihe von Methoden, wie all diese Moleküle dazu gebracht wurden, sich so zu verhalten, wie die Forschenden es wollten. Wenn es darum ging, die Moleküle davon abzuhalten, sich an die Oberflächenrezeptoren zu binden, wurde der 5-HT2A-Antagonist (also Hemmstoff) Ketanserin eingesetzt, der die äußeren Rezeptoren blockierte. Auch wurden die lipophilen Eigenschaften von DMT verändert, so dass es fettlöslicher wurde und noch besser durch die Zellwand hindurch schlüpfen konnte. Zudem wurde eine Methode namens Elektroporation eingesetzt, bei der die Nervenzelle kurzzeitig unter Spannung gesetzt wird, so dass speziell aufgeladene Moleküle durch die Zellwand gelangen können.

Was das Serotonin angeht, so kommt es im natürlichen Zustand nicht in das Zellinnere und kann entsprechend nur außen andocken. Es ist auch nicht dafür bekannt, aktiv Neuroplastizität zu erzeugen. Wenn man es aber per Elektroporation hineinlässt, wie in der Studie geschehen, kann man beobachten, dass es an den Rezeptoren dort Neuroplastizität auslöst. Dies war der letzte Beweis, den Vargas et al. Brauchten, um zuverlässig ihre Hauptaussage sagen zu können: Es kommt auf die Verortung der 5-HT2A-Rezeptoren an, ob sie Neuroplastizität erzeugen oder nicht: Sie müssen im Inneren der Zelle sitzen, dort, wo auch psychedelische Moleküle hineingelangen.

Und was ist mit dem psychedelischen Effekt?

Die Studie hat sich auch mit der Frage beschäftigt, warum Serotonin, wenn es denn an den gleichen Rezeptoren wie DMT und LSD anknüpft, keine psychedelische Wirkung erzeugt, also Veränderungen der Wahrnehmung und Gefühle, Pseudohalluzinationen, Ichauflösung und andere psychoaktiven Effekte. Hat es auch damit zu tun, dass der körpereigene Stoff nicht ins Zellinnere gelangt?

Erstmal drängt sich da ja die Frage auf, wie LaborwissenschaftlerInnen überhaupt herausfinden, ob ein bestimmter Wirkmechanismus oder eine Substanz eine psychedelische Wirkung entfaltet. Dafür gibt es Versuchsmäuse. Wenn diese auf einem Trip sind, zeigen sie nämlich ein besonderes Verhaltensmuster: Sie zucken in einer bestimmten Weise mit dem Kopf. Die Beobachtung dieser head twitch response (HTR), also Kopfzuckreaktion, lässt die WissenschaftlerInnen darauf schließen, dass eine psychoaktive Reaktion eingetreten ist.

Die Forschenden haben sich also gefragt, ob Mäuse eine Reaktion zeigen, wenn sie, entsprechend der vorigen Laborexperimente, Serotonin erhalten, das ausschließlich an ihre inneren 5-HT2A-Rezeptoren gelangt. Die Ergebnisse waren hier weniger klar. Es war auch nicht der erste wissenschaftliche Versuch, bei dem versucht wurde, Mäuse mit Serotonin high zu machen. Das ist ihnen zumindest gelungen. Allerdings liegt die Ursache des psychedelischen Effekts hier nicht an der Verortung der Rezeptoren, sondern kurz gesagt an der kurzzeitig sehr hohen Konzentration von Serotonin im Mäusehirn und an etwas, das sich Funktionelle Selektivität nennt.

Was nach diesen Experimenten fest steht, ist, dass Psychedelika und Serotonin zwar an intrazelluläre Rezeptoren andocken müssen, um Neuroplastizität zu erzeugen, für eine psychedelische Wirkung ist dies aber nicht unbedingt nötig.

Spekulativer Ausblick: LSD ohne Halluzinationen?

Eine Frage, die sich im Anschluss an die Studie stellt, ist: Kann Neuroplastizität gefördert werden, indem die inneren 5-HT2A-Rezeptoren gezielt stimuliert werden, ohne dabei eine psychedelische Wirkung zu erzeugen? Wenn das ginge, könnte das Medikamente hervorbringen, die wie Psychedelika zu mehr Verknüpfungen im Hirn führen, aber dabei keinen psychedelischen Zustand hervorrufen würden. So etwas könnte potenziell wertvoll sein, wenn neue Behandlungen für neurodegenerative Erkrankungen, wie Alzheimer oder Parkinson, entwickelt werden.

Könnte solche „psychedelika-inspirierten” Substanzen dann auch Depressionen lindern, wie es die altbekannten psychedelischen Pflanzen- und Pilzstoffe tun?

„Triplose Psychedelika” könnten im Vergleich zur psychedelika-gestützten Therapie durchaus Vorteile haben. Denn letztere muss immer in Kooperation mit einer begleitenden therapeutischen Fachperson durchgeführt werden. Es gibt eine Vorbereitung, die Sitzungen müssen unter Aufsicht geschehen, und die erlebten Geschehnisse im Nachgang aufgearbeitet werden. Das zieht einiges an Aufwand und Kosten mit sich, welche durch nicht-psychedelische Substanzen wegfallen würden. Auch würde die Angsthürde weniger eine Rolle spielen, die PatientInnen möglicherweise davon abhalten, „halluzinogene Drogen” einzunehmen. Auch Risiken und Nebenwirkungen könnten vermindert werden.

Allerdings gibt es – nicht nur von PsychonautInnen – auch starke Argumente, die den psychologischen Wert von psychedelischen Erfahrungen betonen. So berichten Menschen häufig von durchschlagenden Erkenntnissen und emotionalen Durchbrüchen nach psychedelischen Trips, die sie nachhaltig zum Positiven verändert haben. Auch die schwer vermittelbare mystische Komponente ist ein nachgewiesener Faktor bei der Heilung schwer depressiver und angstgestörter PatientInnen. Bei solchen Erfahrungen wird regelmäßig von Verbundenheit mit dem inneren und äußeren Kosmos gesprochen, von transzendentalen Erlebnissen und Einsichten in die Beziehung von Leben und Tod. Diese würden bei Substanzen, die auf reines Zellwachstum abzielen, fehlen.

Zusammenfassung

  • Psychedelika ähneln sehr dem Botenstoff Serotonin und docken an dessen Rezeptoren an.
  • Förderung der Neuroplastizität durch Psychedelika könnte Ursache für Depressionslinderung sein
  • Die Studie besagt, dass Neuroplastizität bei Stimulierung der 5-HT2A-Rezeptoren im Inneren der Nervenzellen gefördert wird, aber nicht an den Zellwänden oder Synapsen.
  • Eine psychedelische Wirkung ist wahrscheinlich nicht notwendig für Neuroplastizität
  • Ausblick: Mögliche Entwicklung von „triplosen Psychedelika“ zur Behandlung von Depressionen und neurodegenerativen Erkrankungen.
  • Vorteile von „triplosen Psychedelika“: Reduktion von Kosten, Aufwand und Bedenken.
  • Nachteile: Fehlende emotionale und mystische Erfahrungen, die bei herkömmlichen Psychedelika zur Heilung beitragen.

Quellen

Vargas, et al: Psychedelics promote neuroplasticity through the activation of intracellular 5-HT2A receptors, UC Davis 2023.

Gallimore, Andrew: A new mechanism of psychedelic action? Hmmm….

Harvard Health: What causes depression?

Die Zeit: Was, wenn nicht Serotonin?

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